Landgericht Berlin
Im Namen des Volkes
Urteil
Geschäftsnummer: 16 0 940/05
verkündet am:
07.11.2006
Baate
Justizsekretärin
In dem Rechtsstreit
des Herrn Dipl.-Psych. Klaus Schneider,
... , ... Berlin,
Klägers,
- Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Ralf Freiberg,
Kurfürstendamm 212, 10719 Berlin -
gegen
den Herrn Peter Thiel, ... , ... Berlin,
Beklagten,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Hölz, Maschke & Solf,
Marienburger Straße 3, 10405 Berlin -
hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin in Berlin-Mitte, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 07.11.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Scholz, den Richter am Landgericht Vogel und die Richterin am Landgericht Klinger für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger erstellt als Diplom-Soziologe, klinischer Psychologe, Psychotherapeut und Fachpsychologe für Rechtspsychologie im Auftrag der Familiengerichte Tempelhof-Kreuzberg und Weißensee Gutachten in Familien- und vormundschaftsrechtlichen Angelegenheiten. Der Beklagte stellt sich in seinem unter www.system-familie.de abrufbaren Internetauftritt als Verfahrens- und Umgangspfleger vor. Er setzt sich dort kritisch und zum Teil unter Verwendung wörtlicher Zitate mit den Gutachten des Klägers auseinander. Wegen der Einzelheiten des Internetauftrittes wird auf die Anlage I zur Klageschrift Bezug genommen, wegen der gerügten Verletzungshandlungen auf die Ausführungen auf Seite 5 bis 7 der Klageschrift. Der Kläger nimmt den Beklagten deswegen auf Unterlassung und Zahlung immateriellen Schadenersatzes in Anspruch.
Er meint, die wörtlichen Zitate verletzten sein Erstveröffentlichungsrecht aus § 12 UrhG. Zugleich bestehe ein Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit §§ 185, 186, 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Der Beklagte setze sich in seinem Internetauftritt in ehrverletzender Weise mit den nicht veröffentlichen Sachverständigengutachten auseinander, wobei er geheime Gutachterunterlagen unbefugt im Internet veröffentliche. Dadurch verletze er zugleich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers und des begutachteten Kindes.
Der Schmerzensgeldanspruch sei aus den selben Überlegungen begründet, weil das Verhalten des Beklagten seinen, des Klägers guten Ruf bei Gerichten und Parteien gefährde. Durch die Veröffentlichung im Internet könne jedermann, insbesondere eine potentielle Prozesspartei die abträglichen Äußerungen über den Kläger lesen.
Die Fassung des Unterlassungsantrages trage seinem umfassenden Anspruch Rechnung, dem Beklagten zu verbieten, aus Gutachten zu zitieren, die er, der Kläger, nicht für eine Veröffentlichung freigegeben habe.
Der Kläger beantragt,
1. dem Beklagten wird unter Androhung für den Fall der Zuwiderhandlung von Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft untersagt, Inhalte gerichtlicher Gutachten und Stellungnahmen des Klägers anderen Personen zugänglich zu machen oder zu verbreiten, insbesondere über Internet zu verbreiten;
hilfsweise,
Inhalte gerichtlicher Gutachten und Stellungnahmen des Klägers öffentlich zugänglich zu machen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger EUR 3.000,- nebst 5 % Zinsen über dem Basis-Zinssatz seit dem 01.11.2005 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, die Gutachten des Klägers zeigten nicht die für den Schutz des Urheberrechts erforderliche Schöpfungshöhe. Der Kläger bediene sich einer standardisierten Fachsprache, die keinen Raum für eigenschöpferische Formulierungen lasse.
Der Beklagte meint, die Einführung der gutachterlichen Stellungnahmen in die gerichtlichen Verfahren beinhalte eine Veröffentlichung, weil das familiengerichtliche Verfahren wie alle anderen staatlichen Verfahren auch öffentlich geführt werde. Lediglich die Verhandlung sei nicht öffentlich. Außerdem diene der in § 170 GVG normierte Ausschluss der Öffentlichkeit nur dem Schutz der Verfahrensbeteiligten, nicht aber den urheberrechtlichen Interessen des Sachverständigen.
Das vom Kläger beanspruchte Erstveröffentlichungsrecht müsse im Rahmen der Güterabwägung hinter dem von ihm, dem Beklagten wahrgenommenen Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit zurücktreten. Es bestehe ein nachdrückliches Interesse der Öffentlichkeit an einer Auseinandersetzung mit der Tätigkeit von psychologischen Gutachtern in familiengerichtlichen Verfahren.
Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage war mit den gestellten Anträgen insgesamt abzuweisen, weil das Vorbringen des Klägers die Anträge nicht rechtfertigt.
Der Unterlassungsantrag zu 1 ist hinreichend bestimmt und damit zulässig. Der Kläger möchte dem Beklagten generell untersagen, Inhalte der von ihm erstellten Gutachten der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Das Begehren des Klägers ist damit klar umrissen.
Der zulässige Antrag erweist sich jedoch mangels einer Anspruchsgrundlage als unbegründet. Ein Anspruch in dem beschriebenen Umfang ergibt sich nicht aus §§ 97, 12 UrhG. § 12 UrhG gewährt dem Verfasser eines geschützten Sprachwerks das Recht, darüber zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist. Zwar mag zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass die nicht zu den Akten gereichten Gutachten nach den Grundsätzen der kleinen Münze in Gedankenführung und sprachlichem Ausdruck das Ergebnis individueller schöpferischer Tätigkeit darstellen, so dass ihnen der Schutz des Urheberrechts zuzubilligen ist. Ebenso ist dem Kläger darin beizupflichten, dass die Bekanntgabe der Gutachten in den unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden familiengerichtlichen Verfahren keine Veröffentlichung im Sinne des § 6 UrhG darstellt, weil sie sich an einen von vornherein abgegrenzten Personenkreis wendet (Dreier-Schulze, UrhG, Rdn. 7 zu § 6). § 12 UrhG schützt den Kläger jedoch nur vor der unberechtigten Veröffentlichung seines (individuellen) Werkes und der Mitteilung seines schutzfähigen Inhalts oder für sich schutzfähiger Bestandteile des Inhalts. Die Norm gibt ihm hingegen kein Instrument an die Hand, Dritten auch die Wiedergabe reiner Tatsachen zu untersagen, auf die sich das schutzfähige Werk stützt. Verfasst z.B. ein Autor einen Roman über einen wahren Mordfall, so kann er Dritten nicht die Mitteilung verbieten, dass eine Straftat in dieser Form stattgefunden hat und der Autor darüber geschrieben hat. Das erklärte Rechtsschutzziel des Klägers beschränkt sich nicht darauf, dem Beklagten die Bekanntgabe der konkreten Gestaltung der Gutachten zu untersagen, sondern er möchte ihm darüber hinausgehend verbieten lassen, den Inhalt insgesamt zu verbreiten oder hilfsweise öffentlich zugänglich zu machen. Der Inhalt der Gutachten umfasst jedoch mehr als nur die unter den Schutz des Urhebergesetzes gestellte Gedankenführung und sprachliche Gestaltung. Er schließt insbesondere die der Arbeit zu Grunde liegenden Tatsachen ein, wie z.B. die reine Mitteilung, dass die Eltern über das Sorgerecht streiten sowie die Mitteilung, dass der Kläger eine bestimmte Empfehlung für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung abgegeben hat. Derartige Mitteilungen reiner Tatsachen unterfallen nicht dem Schutz des Urhebergesetzes. Der Kläger kann den Beklagten auf der Grundlage des § 12 UrhG nicht verbieten, sich kritisch mit der fachlichen Einschätzung des Klägers zu bestimmten Konfliktkonstellationen auseinanderzusetzen.
Ein soweit gehender Anspruch folgt auch nicht aus §§ 823 Abs. 1 und 2,1004 BGB. Soweit der Kläger den Unterlassungsanspruch auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des betroffenen Kindes stützt, fehlt es ihm an der notwendigen Klagebefugnis; denn als Gutachter nimmt er nicht die Position eines Sachwalters der Rechte des Kindes ein. Die Verfolgung von Rechtsverletzungen bleibt den Sorgeberechtigten vorbehalten.
Soweit der Kläger durch den Internetauftritt des Beklagten sein eigenes allgemeines Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt sieht, kann die Kammer nach den zu den Akten gereichten Ausdrucken eine schuldhafte Rechtsverletzung nicht generell auszuschließen. Das durch den Antrag vorgegebene Rechtsschutzziel erweist sich jedoch auch hier als zu weitgehend. Der Kläger hätte diejenigen Textstellen, durch die er sein absolut geschütztes Recht verletzt sieht und deren Verbreitung er dem Beklagten daher untersagen möchte, konkret bezeichnen und in den Antrag aufnehmen müssen. Statt dessen verlangt er vom Beklagten, den Inhalt der von Ihm, dem Beklagten erstellten Gutachten insgesamt nicht mehr zu verbreiten. Das korrespondiert schon im Ansatz nicht mit der als rechtsverletzend gerügten Handlung. Das allgemeine Persönlichkeitsrechts des Klägers wird nicht durch die sporadischern Zitate aus seinen Gutachten, sondern durch die dazu gegebenen Kommentare des Beklagten verletzt. Die genaue Bezeichnung der beanstandeten Äußerungen erweist sich schon deshalb als unentbehrlich. Sie ist darüber hinaus zur Bestimmung des Schutzbereiches des Artikels 5 des Grundgesetzes erforderlich; denn das Grundrecht auf Meinungsfreiheit erlaubt grundsätzlich auch eine schaffe und pointierte Auseinandersetzung mit den Ansichten, Verhaltensweisen und Äußerungen Dritter. Die Grenze ist erst mit der so genannten Schmähkritik überschritten, bei der das sachliche Anliegen zurücktritt und die persönliche Herabsetzung und Kränkung des Gegners im Vordergrund steht. Diese Voraussetzung mag zwar in Bezug auf einzelne Textpassagen des Internetauftritts des Beklagten vorliegen, sie gilt jedoch nicht für sämtliche Zitate aus den Gutachten des Klägers.
Der Einräumung der beantragten Erklärungsfrist zur Antragstellung bedurfte es nicht, weil die Kammer bereits zuvor zweimal auf Bedenken gegen die Antragstellung hingewiesen hatte. Die damit verbundene Abweichung von ihrer Rechtsprechung aus dem Berufungsverfahren 16 S 10/05, in dem sie einen gleich lautenden Unterlassungsantrag unbeanstandet ließ, erfordert die Gewährung einer weiteren Gelegenheit zur Stellungnahme ebenfalls nicht, weil das Gericht im Rahmen des Parteivorbringens in seiner Entscheidungsfindung und damit auch in der Änderung seiner Rechtsansichten frei ist. Eine Überraschungsentscheidung liegt angesichts des mit der Terminsladung ergangenen Hinweises nicht vor.
Die auf die Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichtete Klage erweist sich ebenfalls als unbegründet. Der BGH gewährt in ständiger Rechtsprechung einen aus § 823 BGB in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz abgeleiteten Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens im Fall eines schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, der nicht auf andere Art und Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (Palandt - Sprau, 63. Auflage, Rdn. 124 m. w. N. der Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Bekanntgabe der Inhalte der Gutachten verletzt keine Rechtsposition des Klägers, weil der Beklagte in seinem Internetauftritt nicht behauptet oder den Eindruck erweckt, dass gerade der Kläger ihm unter Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht die Gutachten zur Kenntnis gegeben hat.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Inhalt der nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägers vom 7. und 8. November 2006 geben zu einem Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung keine Veranlassung.
Dr. Scholz Vogel Klinger
Ausgefertigt
Hirsch
Justizangestellte